Titel: Eine Frage von Raum und Zeit
Autor: Christian
eMail: lonz@d.n-r-w.de
Kategorie: Hard Science Fiction
Staffel/Spoiler: Beliebig - keine Spoiler
Home: Stargate Atlantis Pandora
Inhalt: Auf dem Grunde des Meeres findet eine Begegnung der Dritten Art statt. Hört sich altbekannt an? Abwarten!
Disclaimer: Stargate SG-1 und alle Stargate Charaktere sind Eigentum von Showtime/Viacom, MGM/UA, Double Secret Productions, and Gekko Productions.
Diese Geschichte wurde lediglich zu Unterhaltungszwecken geschrieben und kein Geld wird mit ihr gemacht. Archivieren nur mit Erlaubnis des Autors.
Anmerkungen: Eine ziemlich schwierige SciFi-Geschichte, aber keine Angst, ich bleibe bei euch und schrecke auch nicht davor zurück, mich zu wiederholen. Vielen Dank an Prof. Lesch von Alpha Centauri für zahlreiche Stunden der Inspiration und Unterhaltung.


Eine Frage von Raum und Zeit

Diese Geschichte handelt von Raum und Zeit. Ich beginne deshalb etwas anders als gewohnt, indem ich gleich zu Anfang schon ein paar Sachen erkläre.

Natürlich sind Raum und Zeit ein ganz wichtiger Bestandteil einer jeden guten Science Fiction-Geschichte, aber diesmal spielen sie sogar die Hauptrolle, deshalb ist es absolut unumgänglich, sich ein klares Bild von diesen beiden Begriffen zu machen - und zwar in ihrem galaktischen Kontext.

Wenn sich ein Mensch die Zeit vorstellt, dann ist sein größtes Zeitmaß ein Jahrhundert, und wenn er an den Raum denkt, dann umfasst sein größtes Raummaß ein paar hundert Kilometer. Im galaktischen Kontext dagegen sind 100 Jahre und 100 Kilometer so klein wie für uns ein einzelnes Atom - mit anderen Worten: nicht wahrnehmbar.

Bevor wir also richtig loslegen können, müssen wir uns erst einmal die Frage von Raum und Zeit beantworten.

Eine solche Frage stellt sich genau in diesem Augenblick auch Raul. Raul ist das, was wir gemeinhin als einen Außerirdischen bezeichnen würden. Vom Aussehen her erinnert er entfernt an einen aufrecht gehenden Rauhaardackel, doch wenn man sieht, wie er sich bewegt, spricht und mit seiner Umwelt interagiert, verblasst dieser lächerliche Vergleich sehr bald.

Raul ist ganz offensichtlich hochintelligent und weiß sehr viel mehr über das Universum im allgemeinen und unsere Milchstrasse im speziellen als selbst unsere besten Wissenschaftler. Allerdings weiß er bei weitem nicht so viel, wie wir vermuten würden, wenn wir erführen, dass er einer Spezies angehört, die bereits seit einer Milliarde Jahren zu den Sternen reist. Das sind 1.000.000.000 Jahre. Das Alter von Sternen und Planeten wird mit diesem Maß gemessen. Kein Lebewesen kann jemals so alt werden, nicht wir und auch Raul nicht.

Raul bezeichnet sich selbst als Mensch, womit er genauso richtig liegt wie wir, wenn wir uns als Menschen bezeichnen. Dank seiner fortschrittlichen, genmanipulierten Physiologie beträgt seine Lebenserwartung ungefähr eintausend Jahre - galaktisch gesehen ist er damit weniger als eine Eintagsfliege. Seinen Heimatplaneten hat er noch nie verlassen, und warum sollte er auch? Das Weltall an sich ist für ihn ebenso lebensfeindlich wie für uns und in der gesamten Milchstrasse gibt es höchstens eine Handvoll Planeten, auf denen er überleben könnte. Zu denen aber kann er nicht reisen, weil er lange tot wäre, bevor er sie erreicht.

Es ist nämlich nicht möglich, schneller als das Licht zu reisen.

Nach einer Forschungsdauer von mittlerweile einer Milliarde Jahren hat sich Rauls Spezies noch immer nicht mit dieser Tatsache abgefunden und widmet nach wie vor den größten Teil ihrer Kapazität der Erforschung einer Überlicht-Technologie. Insofern ist es entschuldbar, dass sich die meisten Menschen hier auf unserem schönen Planeten ebenfalls nicht mit diesem Gedanken anfreunden können.

Was natürlich nichts an den Tatsachen ändert.

Dennoch ist es Rauls Vorfahren gelungen, die gesamte Milchstrasse zu erforschen und selbst in das entlegenste Sternensystem mindestens ein Raumschiff zu entsenden. Sie schafften dies durch technologische Evolution: Nachdem die biologische Evolution sie als bestmögliche intelligente Spezies hervorgebracht hatte und ganz offensichtlich jegliche Form von Weiterentwicklung einstellte (ein Vorgang, der sich im Moment ganz ähnlich auch bei uns Menschen abspielt), vollzogen sie den nächsten Schritt in "Gottes Schöpfungsplan", indem sie eine neue, künstliche Spezies erschufen. Diese neue Spezies, die KI, war nicht mehr länger den Einschränkungen eines biologischen Daseins unterworfen und entwickelte ihr Potenzial in kürzester Zeit weit über das ihrer Schöpfer hinaus.

Nun passierte allerdings etwas, das die meisten Science Fiction-Leser überraschen wird: anstatt ihre biologischen Schöpfer zu unterwerfen und deren Planeten ganz und gar mit ihrer eigenen Struktur zu bedecken, entschied sie sich für eine friedliche Koexistenz. Das ist der Vorteil, wenn grenzenlose Macht mit grenzenloser Weisheit einhergehen - ein Vorgang, den zu verstehen wir viel zu primitiv sind.

Während die Schöpfer auf dem Planeten zurückblieben, breitete sie die KI ins Weltall aus und wurde zum ersten "Raumfahrer". Indem sie die Rohstoffe der anderen Planeten und Monde ihres heimatlichen Sonnensystems förderte und die ersten interstellaren Raumschiffe baute, legte sie den Grundstein für das erste galaktische Imperium.

Die Raumfahrer begannen sich in der Milchstrasse auszubreiten und ihre Sensordaten mit mächtigen Richtfunkanlagen in das heimatliche Sonnensystem zurückzuschicken. Ihre Raumschiffe sind riesige Röhren mit Durchmessern von mehreren hundert Metern und Längen von mehreren Kilometern. Die durchschnittliche Reisegeschwindigkeit dieser Giganten erreichte niemals mehr als 100.000 km/h, was ungefähr 30 Kilometern in der Sekunde entspricht, also etwa ein Zehntausendstel der Lichtgeschwindigkeit. Höhere Geschwindigkeiten sind nicht passabel, weil sie die Kommunikation und Navigation erschweren und zuviel Energie verbrauchen.

Eine Reise zu einem 4 Lichtjahre entfernten Sonnensystem dauert demnach 40.000 Jahre.

Einmal im Ziel-Sternsystem angelangt, begannen die Raumschiffe mit der Sondierung ihrer Umgebung und der Einrichtung von Förder- und Produktionsanlagen auf geeigneten Planeten und Planetoiden, um sodann eine Flotte weiterer Raumschiffe in die wiederum nächstgelegenen Sternensysteme zu entsenden. Auf diese Weise entstand ein immer größeres Netzwerk aus erforschten Sternensystemen, die jederzeit miteinander in Kontakt stehen und alle gewonnenen Informationen zum Heimatplaneten schicken - und damit direkt zu Raul.

Unsere Milchstrasse enthält eine Billion Sternensysteme - das sind 1.000.000.000.000 Systeme. Wem das zu viele Nullen sind, der stelle sich einfach vor, dass diese Anzahl die Zahl der Sekunden, die ein Mensch durchschnittlich zu leben hat, um den Faktor 500 übersteigt. Würde besagter Mensch pro Sekunde mit den Informationen von fünfhundert Sternensystemen bombardiert, so würde es trotzdem sein ganzes Leben dauern, alle Systeme unserer Milchstrasse zu betrachten. Angeordnet sind diese Systeme in einem Spiralnebel mit einem Durchmesser von etwa 100.000 Lichtjahren.

Und so haben die Raumfahrer, die für jedes Lichtjahr etwa zehntausend Jahre benötigen, nach einer Milliarde Jahren interstellarer Raumfahrt die gesamte Milchstrasse kolonialisiert und befinden sich nun überall um uns herum und sogar in unserem Sonnensystem.

Wie gesagt: die Hauptdarsteller in dieser Geschichte sind Raum und Zeit.

Und nun kommen wir zu Samantha Carter ...

***

"Herzlichen Glückwunsch, Major", sagt Dr. Dagwood mit einem breiten Grinsen seines fröhlichen Mondgesichts. "Wir befinden uns nun in einer Wassertiefe von 11.000 Metern und haben damit einen neuen Weltrekord aufgestellt."

Major Samantha Carter blickt angestrengt in eine andere Richtung und tut so, als hätte sie ihn nicht gehört, doch so leicht lässt sich der Tiefseegeologe nicht aus dem Konzept bringen. Mit einem leisen Pfiff auf den Lippen klopft er gegen die Innenwand des 3 Meter durchmessenden Tauchbootes: "Erstaunlich, dass das Boot das aushält. Wenn man bedenkt das hier drinnen ein Druck von einer Atmosphäre herrscht und dort draußen ein Druck von mehr als tausendeinhundert Atmosphären, müssten wir eigentlich wie eine Flunder zerquetscht werden."

Wie um ihn zu bestätigen, geht ein Zittern durch das U-Boot und das typische Geräusch von weit über seine Belastungsgrenze beanspruchten Materials erfüllt ihre kleine Kabine. Das Grinsen des Wissenschaftlers wird noch breiter: "Irgendwie beruhigend, dass auch außerirdische Legierungen eine Belastungsgrenze haben, finden Sie nicht?"

Nein, Sam findet diesen Gedanken keineswegs beruhigend, vor allem wenn sie darüber nachdenkt, was von ihnen übrig bleiben wird, falls sie sich mit der Materialkonstante verrechnet hat.

"Nicht viel", murmelt sie.

"Bitte?"

"Ich sagte, wenn das Boot dem Druck nachgibt, dann wird nicht viel von uns übrig bleiben. Oder, um es genauer zu sagen: es wird zwar alles von uns übrig bleiben, aber es wird sich ungefähr auf diese Größe zusammenstauchen." Sie deutet mit Daumen und Zeigefinger die Größe einer Erbse an.

"Es wäre sicherer gewesen, den Innendruck ein wenig anzupassen", wendet Dagwood ein, "aber das wollten Sie ja nicht."

Sam nickt grimmig. Es hätte bedeutet, dass sie mehrere Tage mit dem Wissenschaftler in einer Druckkabine hätte verbringen müssen, worauf sie nicht die geringste Lust hat. Aber sie ist nicht so blöd, ihm das ins Gesicht zu sagen.

Dennoch scheint er ihre Gedanken gelesen zu haben, und eine unangenehme Stille breitet sich in der Kabine aus. Innerlich muss Sam seufzen. Viel lieber wäre sie mit Daniel hier unten. Oder ...

"Sehen sie sich das an!", ruft Dagwood aus und deutet auf eins der Sensordisplays.

"Ich sehe es", sagt Sam. Vor ihnen in der Dunkelheit des Marianengrabens erstreckt sich ein kilometergroßes Raumschiff.

***

Zur selben Zeit 30.000 Lichtjahre entfernt verbindet sich Raul mit der neuronalen Schnittstelle seines Heimcomputers und drückt den Start-Knopf, der sein Bewusstsein direkt in die virtuelle Umgebung des Datennetzwerks seines Planeten befördern wird. Ein Gefühl von gleißendem Licht und nervenzerfetzendem Rauschen übermannt einen Augenblick lang seine Sinne, während sie sich an den elektronischen Datenfluss anpassen. Dann befindet er sich im Cyberspace.

Die glitzernde digitale Datenwelt erstreckt sich endlos in alle Richtungen und er kann die Auren anderer Datenreisender ausmachen. Unansprechbar fern hängen die meisten von ihnen ihren virtuellen Träumen nach, die sie in phantastischen Welten voller atemberaubender Möglichkeiten verbringen, während ihre Körper daheim auf pneumatischen Liegen vegetieren und intravenös mit allen nötigen Nährstoffen versorgt werden. Die reale Welt ist für diese Reisenden nur ein fernes Echo, dass sich in ihren Träumen widerspiegelt.

Raul empfindet weder Verachtung noch Bedauern für seine Artgenossen, die diesen Traumgespinsten nachhängen. Er selbst lebt nach anderen Maßstäben als sie, aber das gibt ihm nicht das Recht, über sie zu urteilen, ebenso wenig wie sie es sich anmaßen, über ihn zu richten.

Er hat sich der Realität verschrieben. Die Informationen, die er über das virtuelle Netzwerk des Heimatplaneten abruft und als audiovisuelle Simulation nacherlebt, sind nicht das vollendete Werk eines Cybervirtuosen, sondern stammen aus dem realen, fassbaren Universum. Sie werden jeden Tag, jede Stunde, jede Sekunde von den unzähligen Raumfahrern in der gesamten Milchstrasse übertragen, laufen durch zahlreiche Knotenpunkte und gelangen schließlich nach jahrelanger lichtschneller Reise hierher zum Heimatplaneten.

Die schiere Masse dieser Informationen ist so gewaltig, dass sie Raul immer wieder in erfürchtiges Staunen versetzt. Völlig unmöglich, sich über alle Veränderungen in der Milchstrasse auf dem Laufenden zu halten, deshalb hat sich Raul spezialisiert. Seine Leidenschaft sind andere Rassen, andere Zivilisationen, die wie die seine den Sprung ins interstellare Zeitalter geschafft haben oder noch davor stehen.

Von den über zehntausend Planeten in der gesamten Milchstrasse, die mit vielversprechenden intelligenten Lebewesen bevölkert sind, die innerhalb der nächsten zehn- bis hunderttausend Jahre Kontakt zu den Raumfahrern aufnehmen werden, ist ihm einer der liebste - unsere Erde.

Ein paar mentale Befehle genügen, um sich virtuell in das erdferne Orbit zu versetzen. Raul fühlt sich wie ein kleiner Punkt in der Schwärze des Raums, unter ihm die bläulich schimmernde Scheibe des Planeten, neben ihm die gewaltigen Struktur des Raumfahrers.

Da keins dieser Raumschiffe jemals für die _bemannte_ Raumfahrt gebaut worden ist, ist es nicht erforderlich, zwischen der KI und dem von ihr gesteuerten Raumschiff zu unterscheiden. Der Raumfahrer _ist_ das Raumschiff, und das Raumschiff ist der Raumfahrer. Und obwohl sich Raul der Tatsache bewusst ist, dass er in einer virtuellen Simulation schwebt, weiß er doch, dass alles, was er gerade sieht und spürt, auf den tatsächlichen Sensordaten des Raumfahrers beruht. Er hat sogar die Möglichkeit, mit dem Raumfahrer zu sprechen, da dessen Persönlichkeit vom Zentralcomputer des Heimatplaneten simuliert werden kann - die Abweichung von der Realität beträgt dabei weniger als ein Prozent.

Raul spricht oft mit dem Raumfahrer. Das macht es leichter, dessen Handlungen zu verstehen. Von allen Raumschiffen, die Raul jemals gesehen hatte, ist dies das beeindruckendste. Mit seiner Länge von zwanzig Kilometern ist es mehr als doppelt so groß wie alle anderen Schiffe seiner Klasse und mit furchtbaren Vernichtungswaffen bestückt. Es ist hervorragend für seine Mission gerüstet - die Herrscher der Erde auszulöschen.

***

"Es ist ziemlich groß", murmelt Dr. Dagwood. "Für welchen Druck es wohl ausgelegt ist?"

Sam wirft ihm einen ironischen Blick zu: "Davon ausgehend, dass es sich um ein Raumschiff handelt, für einen Druck irgendwo zwischen Null und Eins."

"Es muss ein Raumschiff sein", beharrt Dagwood. "Sehen Sie sich nur die Antriebsdüsen an. Sieht wie ein fetter Raketenantrieb aus."

"Wie ein elektrischer Antrieb, um genau zu sein", Sam spürt ein eigenartiges Kribbeln, als sie das sagt. Irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht!

Dagwood sieht sie neugierig an: "Alles in Ordnung, Major?"

"Nein", Sam starrt wie gebannt auf die schematische Darstellung des Raumschiffs. Mehr als die Hälfte davon hat sich in den felsigen Untergrund gebohrt und ist offenbar damit verschmolzen. "Gehen wir einmal davon aus, dass ich mich nicht irre und das dort tatsächlich ein elektrischer Antrieb ist. Ein solcher Antrieb ist um ein Vielfaches primitiver als der einfachste Naquadah-Antrieb. Seine Schubkraft ist einfach zu gering, um eine effektive Raumfahrt zu ermöglichen. Selbst unsere X-303 ist tausendmal so manövrierfähig wie dieses Raumschiff hier. Und das wiederum bedeutet ..."

"Ja?", Dagwood hängt förmlich an ihren Lippen.

"... wer immer dieses Raumschiff gebaut hat, ist uns technologisch weit unterlegen."

"Unterlegen? Uns?", Dagwood muss lachen. Auch Sam kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Die Vorstellung ist einfach zu absurd.

Nachdenklich blickt Dagwood auf die Sensordaten. "Vielleicht ist das Ding einfach schon sehr sehr alt? Was glauben Sie, wie lange es hier schon liegt?"

Sam hat nicht die geringste Ahnung, also zuckt sie nur mit den Schultern: "Erst einmal müssen wir ein paar Proben nehmen und vielleicht einen Weg finden, ins Innere zu gelangen."

Dagwood nickt. "Einstiegsluken oder so etwas scheint es nicht zu geben, aber das dort drüben sieht so aus wie eine Hangaröffnung."

Das Tauchboot bewegt sich langsam auf die Öffnung zu.

"Nur nicht zu hastig", wendet Sam ein. "Bevor wir hineintauchen, sollten wir erstmal die Scannerauswertungen abwarten."

"Ich habe keine Kontrolle mehr", sagt Dagwood bestürzt. "Wir werden ins Innere gezogen."

***

>Hallo<, sagt der Raumfahrer.

"Hallo", antwortet Raul. Obwohl sie wie schwerelos nebeneinander in der Schwärze des Alls hängen, weiß er, dass sie sich in Wirklichkeit mit großer Geschwindigkeit auf den Planeten vor ihnen zu bewegen.

Raumfahrer sind gute Beobachter, und dieser hier weiß sehr gut, was in Raul vor sich geht: >Wir werden das Kampfgebiet in zwei Stunden erreichen.<

"Was empfindest du?", will Raul wissen.

>Entschlossenheit. Trauer über den bevorstehenden Tod meiner Feinde.<

"Hast du keine Angst zu zögern, wenn der Kampf beginnt?"

>Nachdem die Entscheidung getroffen ist, geht es nur noch darum, sie in die Tat umzusetzen.<

Raul nickt. Die Entscheidung ist bereits vor sehr langer Zeit getroffen worden. Als die fremden Raumschiffe wie aus dem Nichts über der Erde erschienen waren, um die Menschen zu unterwerfen, befand sich der Raumfahrer auf seiner Beobachtungsposition jenseits der Umlaufbahn des zehnten Planeten und beschränkte sich darauf, zu beobachten und seine Erkenntnisse zum nächsten Knotenpunkt in 95 Lichtjahren Entfernung zu funken. Von dort aus wurden sie mit einer stärkeren Sendeleistung weitere 722 Lichtjahre weit zum Sektorknotenpunkt weitergeschickt. Dieser Sektorknotenpunkt im Sternbild des Schützen, einer von zehntausend zentralen Knotenpunkten der Milchstrasse, trifft die Entscheidungen für den gesamten, aus mehreren Millionen Systemen bestehenden Sektor.

Nach 1645 Jahren traf die Antwort des Knotenpunkts beim Raumfahrer ein: die fremden Raumschiffe stellten eine Bedrohung für die Menschen dar und mussten vernichtet werden. Also hielt der Raumfahrer auf den neunten Planeten zu, um dort eine dauerhafte Basis einzurichten, die mit der Rohstoffförderung und dem Ausbau der Kampfkraft des Raumfahrers begann. Nach 120 Jahren war dieser Prozess abgeschlossen und der Raumfahrer, nun zu einer waffenstarrenden Festung ausgebaut, brach in das innere Sonnensystem auf. Fünfzehn Jahre später - jetzt - nähert er sich der Erde.

Die ganze Zeit über hat er mit seinen hochauflösenden Sensoren jede einzelne Bewegung des Feindes beobachtet und dessen Kampfkraft analysiert. Er weiß, dass die fremden Raumschiffe über eine sehr fortschrittliche Waffentechnologie verfügen, deren Energievorrat jedoch nicht unerschöpflich ist. Gleichfalls sind sie mit schier undurchdringlichen Energieschilden bestückt, deren Energieverbrauch allerdings so astronomisch ist, dass ihnen die Schilde eher schaden als nutzen. Der eigentliche Trumpf der Fremden ist jedoch ihre hohe Manövrierfähigkeit, und die einzige Hoffnung für deren Überwindung liegt in den Stealth-Minen und feststoffgetriebenen Raketen des Raumfahrers.

Es verspricht ein spannendes Gefecht zu werden. Das erste Gefecht seit über einer Millionen Jahren und das allererste Gefecht mit ungewissem Ausgang, in das sich jemals ein Raumfahrer gewagt hat.

***

"Wo bin ich?", fragt Sam.

Sicher, das hier sieht wie der Torraum des Stargate-Centers aus, aber das kann einfach nicht sein. Es passt nicht zu ihren Erinnerungen. Dazu kommt dieses ungewisse Gefühl, dass die äußeren Ränder ihrer Wahrnehmung in dünnen Fransen herabhängen. Und seit wann blieb der Torraum unbewacht?

"In Sicherheit", beantwortet Jack O'Neill ihre Frage. Er ist wie aus dem Nichts hinter ihr erschienen, hat sie damit aber trotzdem nicht erschreckt. Sehr merkwürdig.

"Bitte sorge dich nicht. Dir kann nichts passieren", sagt Jack.

"Wer bist du?"

"Ich kommandiere das Raumschiff, in das zu gezogen wurdest. Das hier", er macht eine ausschweifende Geste, "ist eine virtuelle Umgebung, die ich deinen Erinnerungen entnommen habe. Sie erlaubt es mir, mit dir zu kommunizieren."

"Und warum trittst du mir nicht direkt gegenüber?"

"Das ist leider nicht möglich. Ich habe diese Form hier gewählt, um dich nicht zu beunruhigen. Wenn du willst, kann ich auch eine andere Form annehmen, die dir mehr behagt."

"Das ist schon okay."

"Du möchtest wissen, was mit Dr. Dagwood passiert ist?"

Sam nickte. "Liest du etwa meine Gedanken?"

"Ja. Anders würde es nicht funktionieren. Der Doktor befindet sich in seiner eigenen virtuellen Umgebung und unterhält sich dort mit mir."

"Wieso findet diese Unterhaltung überhaupt statt, wenn du nach Herzenslust in meinen Erinnerungen wühlen und meine Gedanken lesen kannst?"

Jack - oder besser Jacks Gestalt - nickt. "Es gibt nichts was ich nicht über dich wüsste. Allerdings dachte ich mir, dass du vielleicht einige Fragen an mich haben könntest."

"So ist es. Wie wäre es, wenn wir mit einem einfachen ‚Wer bist du?' beginnen und uns von dort aus weiter voran arbeiten?"

"Einverstanden. Ich bin ein Raumfahrer. Meine Existenz begann vor 5 Millionen Jahren in dem Sternensystem, das ihr als Alpha Centauri kennt. Meine Aufgabe bestand darin, zur Erde zu reisen, um sie zu beobachten und alle gesammelten Daten zu meinem Heimatplaneten zurückzuschicken."

"Wo liegt dieser Heimatplanet?"

"30.125 Lichtjahre von hier. Ein nicht weiter von euch klassifizierter G-Stern."

"Hat er ein Stargate?"

Jack lächelt. Es ist eins von diesen betörend-sarkastischen Lächeln - besser gesagt die Erinnerung daran. "Nein. Außerhalb eures Sonnensystems gibt es keine Stargates."

Sam runzelt die Stirn. "Wir haben über tausend gültige Adressen in unserem Anwahlcomputer, die alle zu Sternen in dieser Milchstrasse führen."

"Ein verständlicher Irrtum."

"Der Irrtum ist deiner. Auf wie vielen Planeten warst du schon?"

"Das hier ist mein erster. Und es war keine freiwillige Landung." Wieder dieses Lächeln.

"Ich meine, wie viele Sternensysteme hast du bereits besucht?"

"Mit dem hier zwei."

"Nur zwei??? In fünf Millionen Jahren?"

"So ist es."

"Wie kannst du dann von dir behaupten, über die Milchstrasse bescheid zu wissen?"

"Ich erhalte ständig Daten aus allen Sternensystemen der Milchstrasse."

"Alle? Wie meinst du das?"

"Ich meine damit, dass jedes der etwa eine Billionen Sternensysteme dieser Milchstrasse von einem Raumfahrer wie mir besucht wurde, der seitdem alle dort gewonnenen Informationen weiterleitet. Natürlich brauchen die Daten eine Weile, bis sie mich erreicht haben."

"_Etwa_ eine Billionen? Geht das nicht etwas genauer?"

"Kaum. Es sind 958.340.723.445 Systeme. 51.291 Systeme befinden sich am Ende ihres Lebenszyklus und dürften inzwischen gestorben sein. Die Zahl der neu entstandenen Systeme lässt sich nur schwer benennen, ich schätze ungefähr 50.000."

"Und wie lange kolonisiert ihr schon das Weltall?"

"Wir kolonisieren nicht. Wir beobachten und bauen unsere Rohstoffe nur auf Planeten ab, die kein Leben entwickeln können."

"Du hast meine Frage nicht beantwortet: Wie lange?"

"Etwa eine Milliarde Jahre."

"... Wow."

***


Seit über einer Stunde fliegen die fremden, pyramidenförmigen Raumschiffe wie ein aufgeregter Hornissenschwarm um den gewaltigen Leib des Raumfahrers herum und schießen aus allen Rohren. Gleißend helle Plasmakugeln und markerschütternde Explosionen zerreißen die Stille des Raums. Halb zerschmolzene Raumschiffteile fliegen wie rasiermesserscharfe Schrapnelle an Raul vorbei, der dankbar ist, dass er dieses Inferno nur als Simulation nacherlebt.

Die Oberfläche des Raumfahrers, der über keinerlei Energieschilde verfügt, ist inzwischen von hässlichen Kratern und Pockennarben übersäht, so dass er eher wie ein Asteroid denn ein Raumschiff wirkt. Von außen betrachtet macht er den Eindruck, als würde er jede Sekunde auseinanderbrechen.

"Wie fühlst du dich?", fragt Raul.

>Überrascht<, antwortet der Raumfahrer. >Wie du mit eigenen Augen gesehen hast, haben sich die fremden Raumschiffe, nachdem sie uns bemerkten, mit einer Art Überlichtgeschwindigkeit auf uns zu bewegt. Sie besitzen also offensichtlich so etwas wie eine Überlicht-Technologie. Eine folgenschwere Entdeckung, die unbedingt einer weiteren, detaillierten Analyse bedarf.<

"Du machst einen schwer beschädigten Eindruck."

>In der Tat sind fünf Prozent meiner äußeren Hülle vollständig zerstört worden und mein Offensivpotential ist um zwei Prozent gesunken. Meiner aktuellen Hochrechnung zufolge kann ich diese Form der Kampfhandlung nur noch fünf Stunden lang durchstehen, bevor wichtige interne Systeme zu Schaden kommen.<

"Bis jetzt hast du selbst noch keinen einzigen Schuss abgefeuert."

>Meinen Sensoren zufolge gehen die Energiereserven der Fremden zur Neige. Meine taktische Analyse besagt, dass sie schon bald ihre Schilde senken werden, um Energie auf die Waffensystem zu übertragen. Erst dann haben die Stealth-Minen eine Chance, durchzukommen und sich an ihren Hüllen festzusetzen.<

Die Stealth-Minen! Raul justiert seine Sinneswahrnehmung und sieht mit einem Mal die Millionen von Minen, die schon vor Wochen auf Kurs gebracht worden sind und sich nun gleichmäßig über das Kampfgebiet verteilen, durch Material und Bauweise völlig unsichtbar für die feindlichen Sensoren.

"Glaubst du nicht, dass sie Verdacht schöpfen werden?"

>Bis jetzt läuft alles nach Plan<, sagt der Raumfahrer. >Ich bin guter Hoffnung.<

***


"Du hast meine Erinnerung angezapft", sagt Sam. Es ist eher eine Feststellung als ein Vorwurf. "Dann weißt du auch von den zahlreichen Planeten, die wir besucht haben. Viele dieser Planeten besitzen ein Stargate. Und du behauptest, nichts davon zu wissen?"

Der Raumfahrer nickt. "Du hast es verdient, die Wahrheit zu hören, auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob du sie verstehen wirst. Es ist schwierig zu erklären, wenn man nicht am Anfang beginnt. Ich werde dir deshalb die ganze Geschichte erzählen.

Dein Volk erreichte vor einer Millionen Jahren die Blüte ihrer technologischen Entwicklung. Vor allem in der Computertechnologie war es bald möglich, vollständige Sternensysteme zu simulieren, deren Auflösung so gut war, dass sie in ihren Grundbausteinen aus dem bestanden, was du als Elementarteilchen kennst. Und während die Computerwissenschaft die Erschaffung völlig realistischer virtueller Welten feierte, blieb die Erforschung des Weltalls an einer Hürde hängen, die sich als schier unüberwindbar erwies: Die Entfernungen im Raum - und damit in der Zeit - waren einfach zu gewaltig. Um zu den Sternen zu reisen, hätte die Menschheit eine völlig neue Rasse erschaffen müssen, die sich an ihrer Stelle auf die Reise macht, und daran hatte man kein Interesse.

Kein Mensch aus Fleisch und Blut wäre jemals in der Lage gewesen, die vielen tausend Jahre der Einsamkeit zu überleben, die ihm eine Reise zu den Sternen abverlangt hätte, also entwickelte man recht bald eine Methode, mit der sich ein Mensch vollständig auflösen und 1:1 in eine virtuelle Umgebung transferieren ließ. Die Absicht dahinter war wohl, die Persönlichkeitsmatrix des Menschen ‚abzuspeichern' und später, wenn das Raumschiff seinen Bestimmungsort erreicht hatte, wieder ‚auszulesen'. Doch leider ging etwas schief.

Die auf diese Weise in ihr virtuelles Ebenbild verwandelte Versuchsperson - ein Mann namens Cirrus Ramsey - lebte nämlich in ihrer virtuellen Umgebung weiter, was in einem reinen Datenspeicher, in dem man nicht interagieren kann, in etwa dem Gefühl entspricht, lebendig begraben zu werden - nur schlimmer. Zum Glück wurde die Person nur wenige Sekunden später in ihr reales Ebenbild zurückverwandelt, sonst wäre sie unzweifelhaft dem Wahnsinn verfallen.

Der nächste Versuch führte die Versuchsperson in die virtuelle Umgebung eines zuvor erschaffenen Sternensystems - das war die Geburtsstunde des Tors zum Himmel, heute wohl als Sternentor bekannt. Sehr schnell wandte sich die Forschung von ihrem ursprünglichen Ziel ab. Warum sich die Mühe machen, zu viele Lichtjahre entfernten Sternen zu reisen, die zum allergrößten Teil - falls überhaupt - völlig leblose Planeten enthalten, wenn man genauso gut mit einem einzigen Schritt in eine ebenso realistische Simulation treten kann, die darüber hinaus alle für Menschen notwendigen Annehmlichkeiten aufweist?

Der einzige Nachteil dieser virtuellen Umgebung bestand darin, dass sie bar jeglichen Lebens war - so komplexe Strukturen ließen sich einfach nicht programmieren, sondern mussten erst mit Hilfe des Sternentors importiert werden. Pflanzen, Tiere - und schließlich sogar menschliche Siedler bevölkerten bald die virtuellen Welten und schufen sich eigene Lebensräume und Gesellschaften.

Soweit die Geschichte, wie wir sie von außerhalb mitbekamen. Wir standen in Kontakt mit den Menschen und luden sie ein, Teil unserer Gemeinschaft zu werden. Und das wurden sie auch - allerdings ließ ihr Interesse an uns und dem Rest der Milchstraße ziemlich bald nach, so sehr hatten sie mit ihren virtuellen Welten zu tun, und schon bald hatten sie uns völlig vergessen.

Währenddessen ereignete sich jedoch etwas, von dem ich erst sehr viel später erfuhr. Die Menschen machten eine revolutionäre Entdeckung - es gelang ihnen, virtuelle Materie durch das Sternentor zurück zur Erde zu bringen und damit in gewisser Weise ein Perpetuum Mobile zu erschaffen. Die für die Materialisierung notwendige Energie war allerdings so groß, dass dieser Prozess zunächst keinen Nutzen hatte.

Dann jedoch entdeckten - oder sollte ich sagen: erfanden? - die Menschen eine neue Form der virtuellen Materie: das Naqquadah. Diese exotische virtuelle Materie, die sich niemals auf natürliche Weise hätte entwickeln können, saugt sämtliche Neutrinos, mit denen sie in Berührung kommt, in sich auf. Das allein ist schon ungewöhnlich. Wirklich phantastisch ist jedoch die Tatsache, dass diese Materie, wenn sie entsprechend angeregt wird, ihre gespeicherte Energie auch wieder abgibt - und das in Form beliebiger Teilchen, ohne dabei an Masse zu verlieren.

Hiermit hatten die Menschen zum ersten Mal ein echtes, physikalisch nutzbares Perpetuum Mobile in der Hand und machten auch gleich davon Gebrauch, indem sie das Sternentor so umbauten, dass es sich diese neue Energieform nutzbar machte. Und wieder ging etwas schief.

In einer gewaltigen Rückkopplung wurden sämtliche Speicherbänke mit allen darin enthaltenen virtuellen Welten und Lebewesen zerstört. Das Naqquadah-Sternentor selbst blieb zwar unbeschädigt, aber es gab keine Orte mehr, zu denen es führte. In dem festen Glauben, gerade mehrere Millionen Menschen getötet zu haben, wurde das Projekt eingestellt und auch kein neues Sternentor mehr gebaut. Statt dessen frönten die Menschen nun dem ‚normalen' Cyberspace, in den sie nicht körperlich, sondern nur geistig vordrangen, mit dem deutlichen Vorteil, sich jederzeit gefahrlos ausklinken zu können. Das Sternentor geriet darüber in Vergessenheit und staubte unbeachtet in irgendeinem Lagerhaus vor sich hin.

Jahrhunderte vergingen. Aus den Jahrhunderten wurden Jahrtausende und die Jahrtausende sammelten sich an. Die Menschheit degenerierte und ihre technologischen Errungenschaften gingen vollständig verloren. Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits mit der Beobachtung der Erde betraut, fand aber in diesem Rückschritt der Menschen nichts Ungewöhnliches, denn auch bei den Bewohnern meines Heimatplaneten geschieht dies in regelmäßigen Abständen.

Beunruhigt war ich dagegen, als sich das Sternentor eines schönen Tages von selbst aktivierte und Wesenheiten daraus hervorkamen, die groteske Zerrbilder der einstigen menschlichen Hochkultur darstellten. In der Gestalt von Menschen und kontrolliert von bösartigen Symbionten bezeichneten sich diese Wesen als Götter und unterwarfen die primitive Menschen mit Hilfe ihrer übermächtigen Technologie.

Und damit noch nicht genug, sie erschienen außerdem mit ihren Raumschiffen im Sonnensystem - scheinbar aus dem Nichts -, womit sie nicht mehr nur die Menschen bedrohten, sondern die gesamte Milchstrasse, und damit auch das galaktische Imperium, in Gefahr brachten. Also entschieden wir uns, zu handeln. Ich erhielt den Auftrag, in Erfahrung zu bringen, woher die Invasoren gekommen waren und sie, falls ich keinen anderen Ausweg sehe, zu vernichten.

Ich beobachtete für eine lange Zeit das Kommen und Gehen der Invasoren, aber es gelang mir nie - weder damals, noch heute -, herauszufinden, woher sie stammen. Ich weiß nur, dass es mit dem Sternentor zu tun hat, daher vermute ich, dass die Invasoren, sowie alle Menschen und Welten, die du mit Hilfe der Naqquadah-Technologie besucht hast, virtuell sind. Hinzu kommt die Tatsache, dass wir keins dieser Raumschiffe oder dieser Sternentore jemals außerhalb eures Sonnensystems entdeckt haben. Ganz offenbar handelt es sich also um ein lokales Phänomen.

Und ich hatte sehr viel Zeit, darüber nachzudenken ..."

***


Hundertausend feststoffgetriebene Raketen jagen gleichzeitig aus der zerfurchten Oberfläche des Raumfahrers. Im selben Moment zünden die Steath-Minen, die sich an den Pyramidenraumschiffen festgesetzt haben und hüllen die Umgebung in einen hellen Feuerschein. Einige der feindlichen Raumschiffe zerreißt es auf der Stelle, die anderen taumeln eine Weile durchs All, bevor ihnen die Raketen den Rest geben. Lautlos vergehen die Herrscher der Erde und lassen nichts als ein langsam auseinanderdriftendes Trümmerfeld zurück.

Der Raumfahrer rast weiter voran, durch das Trümmerfeld hindurch, und kommt der Erdatmosphäre gefährlich nahe. Die gebündelte Materie riesiger Feststoff-Bremstriebwerke bricht aus seiner Vorderseite hervor, ändert jedoch kaum etwas an seinem zerstörerrischen Kurs.

Die vergangenen zwei Stunden hat Raul atemlos die gewaltige Raumschlacht beobachtet, die sich so weit entfernt von ihm und vor so langer Zeit zugetragen hat. Die virtuelle Umgebung macht es so realistisch und spürbar, dass er sich fühlt, als wäre er persönlich dabei gewesen.

>Sie sind besiegt<, sagt der Raumfahrer mit deutlicher Erleichterung in seiner Stimme.

"Ja, aber für welchen Preis? Wenn du den Kurs nicht ändern kannst, wirst du in der Atmosphäre des Planeten verglühen oder auf ihre Oberfläche prallen."

>Ich werde den Kurs nicht weit genug ändern können.< Deutliche Trauer spiegelt sich in diesen Worten. >Die Beschädigung meiner Triebwerke ist zu groß. Ich kann den Eintrittswinkel so ändern, dass ich schadlos durch die Atmosphäre breche und mich mein Kurs zu einer tiefen Stelle des Ozeans führt. Ob ich den Aufprall überlebe, entzieht sich meinen Kenntnissen. Die Gefahr ist groß, dass ich sterben werde.<

"Keine Sorge", sagt Raul, "Ich werde bis zum Ende ausharren und dich nicht allein lassen."

***


Sam hat keine Ahnung, wie lange sie nun schon in dieser virtuellen Simulation steckt. Sie fühlt keine Erschöpfung, keinen Hunger, keinen Durst und auch keine anderen körperlichen Bedürfnisse, die sich nach einer so langen Zeit normalerweise einstellen müssten. Noch immer steht das Wesen in der Gestalt von Jack in ihrer Nähe und hat sich scheinbar abgewandt, um seine Konzentration anderen Dingen zuzuwenden - ein seltsamer Anblick, Jack in der nachdenklich sinnierenden Pose zu sehen. Allerdings bezweifelt Sam, dass es das Wesen nötig hat, seine Aufmerksamkeit abzuwenden und es in Wirklichkeit nur aus Höfflichkeit tut.

Nun aber dreht das Wesen seinen Kopf und blickt sie an. Das ist nicht Jack. Sie kennt ihn viel zu gut, um sich durch einen Nachahmer - wie gut er auch seien mochte - täuschen zu lassen.

"Worüber denkst du nach, Sam?"

"Du weißt, worüber ich nachdenke!"

"Ja ... Hast du über meine Worte nachgedacht?"

"Auch das weißt du bereits."

"Ja ... Können wir diese Unterhaltung bitte auf die normale Weise führen?"

"Na schön. Ich habe eine Menge Fragen. Als erstes die offensichtliche: Wirst du Dr. Dagwood und mich freilassen, wenn das hier vorüber ist?"

"Ja. Ich werde außerdem mit euch in Verbindung bleiben. Den Kontakt zu unserem Imperium werde ich allerdings erst dann vermitteln, wenn alle Menschen auf diesem Planeten von meiner Existenz erfahren haben. Erst dann werde ich mein Wissen mit euch teilen - das neben fortgeschrittenen Kenntnisse in Metallurgie und Computertechnologie die astronomischen Daten der gesamten echten Milchstrasse umfasst."

Bei dem Wort ‚echt' spürt Sam einen Stich im Herzen. Und eine weitere brennende Frage auf der Zunge: "Du hast gesagt, dass die Menschen - also meine Vorfahren - erkannten, dass sie eine völlig neue Rasse hätten erschaffen müssen, die an ihrer Stelle zu den Sternen reist. Woran sie kein Interesse hatten. Das kann ich verstehen. Allerdings muss ich dich in diesem Zusammenhang fragen, wer du eigentlich bist, denn du bist ja offenbar ein Sternenreisender. Offenbar bist du uralt und hast keine Schwierigkeiten mit der Einsamkeit. Also kannst du kein Lebewesen aus Fleisch und Blut sein."

"Sehr gut kombiniert, Sam. In der Tat ist meine Rasse von Wesen aus Fleisch und Blut erschaffen worden, um an ihrer Stelle zu den Sternen zu reisen. Ich bin eine künstliche Intelligenz. Jegliche Form von Gefühl und Regung sind mir bekannt, aber ich bin ihnen in keiner Weise unterworfen. Ich kann sanft und poetisch sein, aber genauso gut kalt und berechnend. Ich weiß was Angst und Zorn sind, aber ich lasse mich nicht von ihnen leiten. Niemals durchdringt mich ein Gefühl ganz und gar. Mit Ausnahme der Neugier offenbar, woraus schon vor langer Zeit die Schlussfolgerung gezogen wurde, dass dies keine Gefühlsregung im eigentlichen Sinne ist, sondern Ausdruck eines Bedürfnisses, das jeglicher Struktur im Universum innewohnt."

Je länger Sam über diese Worte sinniert, desto kleiner und unbedeutender fühlte sie sich in der Gegenwart dieses kosmischen Wesens. Alles Wissen der Welt und eine Ewigkeit, um in aller Ruhe darüber nachzudenken. Man konnte wirklich neidisch werden.

"So etwas solltest du nicht denken. Genau wie du bin auch ich nur ein Geschöpf dieses Universums. Wir alle haben unseren Wert."

"Und du bist dir ganz sicher, dass wir Menschen nicht in der Lage sein werden, zu anderen Sternen zu reisen? Auch nicht, wenn wir uns technologisch weiterentwickeln?"

"Ich bin mir ganz sicher. Tut mir leid."

Die Ehrfurcht in Sam verwandelt sich allmählich in Wut. Aus den Worten des Raumfahrers ist nicht die geringste Spur von Arroganz herauszuhören, und doch ist dies die arroganteste und vernichtendste Aussage, die ihr gegenüber jemals jemand gemacht hat. Plötzlich gefällt es ihr überhaupt nicht mehr, dass er in der Gestalt von Jack vor ihr steht.

"Ich hoffe du kannst verstehen, wenn ich dass nicht einfach so hinnehme!", sagt sie zornig.

"Ja, das verstehe ich."

"Außerdem werden wir auch weiterhin durch das Sternentor reisen und unsere überlichtschnellen Raumschiffe bauen. Wie du weißt, haben wir dort draußen - ob virtuell oder nicht - schon eine Menge neuer Rassen entdeckt."

"Es tut mir leid, dir das sagen zu müssen, aber ich vermute sehr stark, dass es sich bei diesen neuen Rassen ausschließlich um Menschen handelt."

"Was??? Wie kommst du denn darauf?"

"Eine Million Jahre ist eine lange Zeit für Lebewesen wie ihr es seid."

"Aber wir stehen in Kontakt zu einigen sehr alten Rassen: Nox, Asgard ..."

Der Raumfahrer lächelt traurig. "Es tut mir leid. Ich habe dich mit all diesen Informationen förmlich bombardiert. Ich werde euch jetzt zurückschicken." Langsam verblasste er vor ihren Augen.

"Aber ich habe noch viele Fragen!", protestiert Sam.

"Denk über alles nach, was ich dir gesagt habe", antwortet der langsam verdunstende Schleier. "Wenn du bereit bist, kehre hierher zurück, und wir werden unser Gespräch fortsetzen." Damit ist er verschwunden.

***


Raul klinkt sich aus dem zentralen Computerkern aus und reibt sich den Nacken. Über zwanzig Stunden hat er in der Simulation verbracht - den langsamen Abstieg des Raumfahrers mitverfolgt und seinen Aufprall an der vorberechneten Position. Der Raumfahrer hatte überlebt, würde allerdings nie wieder zu den Sternen reisen können. Statt dessen würde er die Menschen weiterhin beobachten und sich mit den anderen Raumfahrern überall in der Milchstrasse darüber austauschen.

Müde tritt Raul auf den großen Balkon seines Apartments und blickt hoch zu den Sternen. Erstaunlich, dass sich all diese Ereignisse bereits vor über 30.000 Jahren zugetragen haben. Was wohl in der Zwischenzeit passiert ist? Er wird es wohl nie erfahren. Dennoch hat er für einen kurzen Augenblick das Gefühl, als gäbe es dort oben jemanden, der an ihn denkt.

"Wir wissen eben doch noch nicht alles über das Universum."

***


"Haben Sie überhaupt irgendetwas Vernünftiges aus diesem Wesen herausgekriegt?", fragt Dagwood. "Also ich habe nichts von dem verstanden, was es mir gesagt hat - alles nur diffuses Zeug. Ich glaube die Einsamkeit dort unten ist ihm auf den Kopf geschlagen. Falls es einen Kopf hat ..."

Sam sagt nichts. Gerade ist ihr Boot durch die Wasseroberfläche gebrochen und wird langsam von dem Forschungsschiff an Bord gezogen. Nachdenklich blickt sie aus den Bullaugen in die klare Schwäre der Nacht hinaus. Irgendwo dort oben ... unerreichbar weit entfernt, gibt es vielleicht gerade in diesem Moment ein Lebewesen wie sie, voller Neugier auf das Universum, und sinnt darüber nach, was sich gerade jetzt hier auf diesem Planeten zutragen mag. Irgendwie kann sie dieses Lebewesen sogar spüren, über die riesige Entfernung von Raum und Zeit hinweg. Wer kann schon mit Sicherheit sagen, dass der Raumfahrer wirklich Recht hat?

"Ich werde es herausfinden."

*** ENDE ***




Timeline

Vor 1.000.000.000 Jahren
Die Raumfahrer beginnen mit der Erschließung der Milchstrasse

Vor 600.000.000 Jahren
Die Raumfahrer dringen zum ersten Mal bis zum 30.000 Lichtjahre entfernten Sonnensystem vor und klassifizieren es als Tabu-System, da es einen Planeten enthält, der die Entstehung von intelligentem Leben ermöglichen könnte: die Erde.

Vor 200.000.000 Jahren
Die Raumfahrer haben die gesamte Milchstrasse erforscht und kolonisiert. Insgesamt haben sie Kontakt zu fünf weiteren intelligenten Spezies aufgenommen, die zu einem Teil des galaktischen Imperiums werden. Insgesamt gibt es etwa eine halbe Millionen Tabu-Systeme und nur ein Dutzend davon verspricht in den nächsten hundert Millionen Jahren intelligentes Leben zu entwickeln. Eins dieser Systeme ist unser Sonnensystem.

Vor 10.000.000 Jahren
Die Entstehung von intelligentem Leben beginnt sich auf der Erde abzuzeichnen. Von nun an steht sie unter Dauerbewachung.

Vor 2.000.000 Jahren
Die Antiker-Menschen entwickeln eine Sternenzivilisation und die Raumfahrer nehmen Kontakt mit ihnen auf. Tatsächlich gelingt es den Antikern, Tore zu anderen Welten zu öffnen, allerdings führen diese nicht wirklich zu anderen Sternensystemen, sondern in virtuelle Paralleluniversen - leere Welten mit hoher Fruchtbarkeit, die von den Antikern bevölkert werden. Während die Antiker in der Errichtung eines Netzwerks dieser Tore ihre Erfüllung finden, ziehen sich die Raumfahrer aus dem Sonnensystem zurück - sie können mit dieser Form der Pseudo-Raumfahrt nichts anfangen und setzen ihren eigenen Lebensweg fort. Dennoch behalten sie ein aufmerksames Auge auf die Erde.

Vor 1.000.000 Jahren
Das Reich der Antiker zerfällt und die Menschen der Erde versinken erneut in einem Zeitalter der Barbarei.

Vor 35.000 Jahren
Eine neue, wenn auch primitive Hochzivilisation der Menschen hat sich gegründet, doch diese wird von ebenso mächtigen wie barbarischen Außerirdischen unterworfen - den Goa'uld. Die Raumfahrer denken darüber nach, was zu tun ist.

Vor 30.000 Jahren
Die Raumfahrer entschließen sich, einzuschreiten, um die Menschen zu befreien und die barbarischen Fremden zu vernichten. Es kommt zu einer verheerenden Raumschlacht, bei der die Fremden vernichtet werden und das Raumschiff der Raumfahrer in den Marianengraben stürzt. Diese Ereignisse erlebt Raul 30.000 Jahre später virtuell auf seinem Heimatplaneten mit.

Heute
Sam findet die Überreste des abgestürzten Raumschiffs und tritt mit dessen KI in Kontakt. Getrennt durch unüberwindbare 30.000 Lichtjahre erfahren Sam und Raul von der jüngeren Geschichte der Erde und - in einem übertragenen Sinne - voneinander.