Titel: Steinring1 - Der Aufbruch Autor: Christian eMail: lonz@d.n-r-w.de Kategorie: [D]rama Spoiler: Keiner Staffel: 2./3. Staffel Rating: PG Home:Stargate Atlantis Pandora Anmerkung: Teil 1 der Steinring-Reihe Inhalt: Ein neues Team macht sich bereit, in die unbekannten Tiefen des Stargate-Netzwerks vorzudringen - und sie beginnen ihre Reise nicht vom Stargate-Center aus ...
Steinring
Der Aufbruch
"DAS ist es! Das siebte Symbol! Herueeka!"
Ein Glanz war in die Augen des Grafen getreten und er begann aufgeregt auf und ab zu laufen. Sein junger Lehrling Igor lächelte nur und blieb ruhig stehen. Er wußte, daß sein Herr und Meister mal wieder von einer Welle der Begeisterung erfaßt worden war, die ihn seine Umgebung völlig vergessen ließ. Gerade diese Begeisterung war es, für die er seinen Herrn so liebte. Sie war ihm viel lieber als die tiefe, an Depression grenzende Ernsthaftigkeit, die ihn normalerweise beherrschte.
"Igor! IGOR!"
"Ich bin hier, Meister."
"Ah ja," erwiderte der Graf, der selbst noch keine dreißig Jahre zählte, mit fahriger Stimme, "bring mir etwas zu schreiben. Ich muß diesen Gedanken festhalten, bevor er mir wieder davonfliegt."
"Jawohl, Herr Graf." Igor eilte los und trug das Gewünschte heran - ein paar Pergamentblätter und ein Tintenfäßchen samt Feder. Der Graf entriß sie ihm und begann sofort mit zittriger Hand zu schreiben.
Die Katakomben unter dem Schloss waren zu spärlich beleuchtet, als daß Igor hätte erkennen können, was sein Meister da aufschrieb. Also übte er sich in Gedult. Sobald der Graf seine anfängliche Begeisterung überwunden hätte, würde er ihn schon einweihen.
Schließlich endete das kratzende Geräusch der Feder auf dem Papier und der Graf wandte sich an seinen Lehrling: "Ich glaube ich habe die Lösung gefunden." Seine Stimme klang jetzt wieder normal, auch wenn immer noch ein Teil seiner Begeisterung hindurchschien. Dann hob er zu einer langen, umständlichen Erklärung an, die wohl nur er selbst verstehen konnte. Igor hörte etwas von sechs Punkten, die einen weiteren Punkt im Raum bezeichneten, und von einem siebten Punkt als Ausgangspunkt. Er hätte sich sehr gewünscht, daß der Graf seine Überlegungen anhand einer Skizze erläuterte, doch auf diese Idee kam sein Herr und Meister, der das ganze wahrscheinlich klar und deutlich vor seinem geistigen Auge sah, gar nicht.
Seine Ausführungen endete der Graf mit den Worten " ... somit ist alles, was wir jetzt noch brauchen, ein Blitz." Und damit deutete er auf das Objekt hinter ihnen, das einen großen Teil der unterirdischen Halle einnahm: ein großer steinerner Ring, der mit seltsamen Zeichen beschriftet war.
****
Das Klima in Xalviar war rauh und tückisch. Die Tage waren lang und düster und die Nächte noch viel länger und düsterer. Die Sonne zeigte sich nur selten und schwere Unwetter waren an der Tagesordnung. So mußten Graf Sebastian Freund und sein junger Lehrling nicht lange auf ihren Blitz warten. Kurz breitete sich strahlende Helligkeit über dem Schloss und dem nahegelegenen Dorf aus und der Blitz schlug in den höchsten Turm, wo er von einer langen Metallstange erfaßt und über eine dicke Metallkette direkt in den Steinring hineinfuhr. Der Ring gab ein Geräusch von sich, das unmöglich von dieser Welt stammen konnte und eine kurze Vibration erfaßte die unterirdische Halle. Dann war wieder alles still.
Vorsichtig trat der Graf näher heran und berührte den Ring mit einer Fingerspitze, wobei er erleichtert feststellte, daß sich der Stein nicht wesentlich erhitzt hatte. Triumphierend fuhr er herum: "Es ist genauso wie ich es mir gedacht habe. Der Ring hat die Kraft des Blitzes in sich aufgenommen. Schnell, wir müssen ihn richtig einstellen, bevor sich die Kraft entlädt!"
Eilig begannen sich die beiden an der hölzernen Konstruktion zu schaffen zu machen, mit der sich der innere Ring drehen ließ. Igor war etwas ratlos, aber der Graf schien genau zu wissen was er da tat. Während er mit der einen Hand kurbelte, hielt er in der anderen ein Pergament mit einer Reihe aus sieben Zeichen. Als die erste Klammer einrastete und zu glühen begann, grunzte er zufrieden. "Keine Zeit zu verlieren. Schnell jetzt, in die andere Richtung!"
Igor warf sich in die Holzkurbel und kurbelte was das Zeug hielt. So arbeiteten sie angestrengt weiter, bis sich schließlich die siebte Klammer schloß.
"So, und jetzt müßte eigentlich ..."
Weiter kam der Graf nicht, als eine gewaltige Wolke wirbelnder Energie mehrere Meter aus dem Ring hervorbrach, sie nur knapp verfehlte und das Stehpult des Grafen verschlang. Dann stürzte die Woke zurück in den Ring und pendelte sich zu einer wabernden, blau schimmernden Oberfläche aus, welche die unterirdische Halle und ihre völlig verstörten Bewohner in ein strahlendes Licht tauchte.
Igor fand als erster zu seinen fünf Sinnen zurück. Aus dem Augenwinkel registrierte er Harold, den alten Diener des Grafen. Der arme Mann war gerade durch den Eingang hereingekommen, als das Schauspiel seinen Anfang genommen hatte. Er war kreidebleich, die Schüssel mit Suppe, die er gerade servieren wollte, lang in tausend Teile zersprungen zu seinen Füßen.
Ungedultig rüttelte Igor an seinem Meister, der mitten in seinem Satz erstarrt war und mit offenen Mund auf das Wunder blickte, das direkt vor seinen Augen Gestalt angenommen hatte. "Herr Graf?"
"Es ... es hat mein Stehpult gefressen!"
"Ja, Meister."
"Wa - Warum?"
"Vielleicht ist es böse auf uns?"
"Aber warum hat es mein Stehpult gefressen?"
"Herr Graf!"
"Was?" Der Graf blickte seinen jungen Lehrling an, als würde er ihn zum ersten Mal in seinem Leben sehen.
"Was tun wir jetzt?" Igor wußte genug aus den Ausführungen seines Meisters, daß sie es hier mit einem Durchgang zu tun hatten - in eine andere Welt jenseits von allem was sie kannten. Zu den Sternen - wo immer das auch sein mochte. "Gehen wir durch?"
"Nein!" Der Graf kam nun langsam wieder zur Besinnung. "Das ist viel zu gefährlich."
Vorsichtig trat er an die schimmernde blaue Oberfläche heran und streckte seinen Finger aus, um sie zu berühren. Der Finger tauchte in die Oberfläche ein und "verschwand" darin. Ein seltsames Prickeln erfaßte ihn und er zog den Finger schnell wieder zurück - unverletzt. Sicher, der Gedanke war verführerisch ...
"Nein! Wir wollen erst einmal sehen, ob auf der anderen Seit jemand ist, der uns antworten kann. Schnell, hol eine Truhe! Irgendeine leere Truhe. Vom Speicher!"
Igor eilte los und hielt kurz inne, als er am Diener des Grafen vorbeikam: "Harold, alles in Ordnung mit Ihnen?"
Der Schock über das Erlebte saß tief in Harolds Knochen, aber er hatte in seinen unzähligen Jahren im Dienste des Grafen und seiner Vorgänger schon ganz andere Dinge gesehen. "Mir geht es schon besser, Junge, danke. Bei Selket! Ich werde wohl einen Besen holen müssen, um dieses Maleur zu beseitigen." Er deutete bestürzt auf die zerschellte Suppenschüssel. "Und dann werde ich eine neue Suppe kochen. Eine kräftige!" Damit wandte er sich ab und überließ seinen Schützlingen das Feld.
Als Igor mit der Truhe zurückkam, hatte der Graf einen kurzen Text auf einem Pergamentblatt notiert. "Eine Nachricht für die Leute auf der anderen Seite," sagte er mit einem Augenzwinkern, während er das Blatt in die Truhe legte und diese fest verschloß. Dann ergriff er die Truhe und warf sie kurzentschlossen durch die schimmernde Oberfläche des Steinrings, wo sie augenblicklich verschwand. Gern wäre er einfach hinterhergesprungen, aber diesmal - ausnahmsweise - hatte er sich unter Kontrolle.
Mit einem reißenden Geräusch brach die Verbindung ab und für einen kurzen Moment hatten der Graf und sein junger Lehrling das Gefühl, in die Unendlichkeit zu blicken, dann erfüllte nur noch das düstere Licht der Fackeln die unterirdische Halle.
"Nun heißt es warten."
****
Meine Welt ist auf einen Tisch aus schwarzem Holz zusammengeschrumpft, darauf eine Flasche mit billigem Wein und ein leeres Glas. Ich starre in das Glas hinein und sehe mich selbst, tief unten inmitten der erschütternden Leere.
Dieser Anblick ist zuviel für mich und ich beginne wie ein kleiner Junge zu weinen. Es stört mich nicht, was die anderen Besucher der Kneipe von mir denken, denn ich habe kein Ehrgefühl mehr übrig, um das ich mich scheren könnte. Für einen Moment schwelge ich in Schmerz, Hilflosigkeit und Selbstmitleid, dann fülle ich das Glas mit einem ungeschickten Schwung aus der Flasche und stürze den billigen Fusel in einem Zug meine Kehle hinunter. Der beißende Alkohol verbrennt meine Trauer und hinterläßt nur stumpfsinnige Leere.
Meine Welt ist ein dunkles Loch, in das mich die Grimme Dame eingesperrt hat, um mich für Taten zu bestrafen, an die ich mich nicht erinnern kann. Die Grimme Dame, ja! Für einen kurzen glücklichen Augenblick meines Lebens dachte ich, ich könnte ihr entfliehen. Doch es war eine Täuschung. Es ist alles nur eine Täuschung! Die Grimme Dame schlug erneut zu und raubte mir mein kurzes Erdenglück, meine wunderbare Elena und meinen kleinen Jakob. An einem Tag erfreuten sie sich noch eines unbeschwerten Lebens, am anderen lagen sie tot und aufgedunsen in ihren Betten, hinweggerafft von der Dame. Krieg, Seuche, Elend, das ist die Welt, die mir bestimmt ist.
Ich weiß nicht, woher ich die Kraft genommen habe, weiterzumachen und am Leben zu bleiben. Die Grimme Dame abzuschütteln. Vielleicht ist es dieser Stolz, der mir schon immer gegeben war, die Unfähigkeit, einfach loszulassen und aufzugeben. Doch von diesem Stolz ist nicht viel geblieben. Gerade genug, mein letztes Geld zu verprassen und mich dann in die Gosse zu legen, um zu sterben.
Dann klart meine Sicht auf und ich finde mich im Innern der Kneipe wieder. Ein Mann kommt zur Tür herein. Er ist alt - uralt. Er tritt durch die versammelten Bauern und Händler hindurch, die erfurchtsvoll vor ihm zurückweichen. In der Hand hält er ein Pergament, daß er nun sorgfältig am Schwarzen Brett befestigt. Danach wendet er sich um, läßt seinen Blick durch die Kneipe streifen - kurz bleibt er an meiner erbärmlichen Erscheinung haften -, runzelt die Stirn und verläßt den Raum ebenso würdevoll wie er ihn betreten hat.
Ein seltsames Gefühl hat von mir Besitz ergriffen, fast so als würde mein Unterbewußtsein kurzzeitig die Kontrolle übernehmen. Ich richte mich mühsam auf, wanke zu dem Anschlag am Schwarzen Brett hinüber, und lasse die geschriebenen Worte langsam in mich einsickern.
Tapfere Leute gesucht
für eine Expedition mit ungewissem Ausgang.
Hohe Belohnung.
Meldet Euch bis zum 13. Tage
im Schlosse derer zu Freund.
gez. Graf Sebastian von Freund
Plötzlich steht eine junge Frau neben mir und sieht mich keck an: "Dort willst du doch wohl nicht etwa hin, oder? In deinem Zustand? Sie werden dich nur achtkantig hinauswerfen!"
Ich stoße sie grob beiseite und wende mich dem Ausgang zu. Ein Schritt vor den anderen, irgendwie werde ich es schon zum Schloss hinauf schaffen. Doch schon nach drei Schritten muß ich mein Vorhaben aufgeben, denn die Welt beginnt zu kreiseln und der näherkommende Boden trifft mich wie ein Hammerschlag.
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Harold runzelte mißmutig seine Stirn. Nicht nur, daß der junge Graf seine adligen Aufgaben sträflich vernachlässigte und es damit ihm, seinem getreuen Diener, überließ, die Bauern des zur Grafschaft gehörenden Dorfes bei der Stange zu halten, nun hatte er es sich auch noch in den Kopf gesetzt, diese leichtsinnige Reise durch das Artefakt zu unternehmen.
Der Aufforderung, die er am Tage zuvor ausgehängt hatte, waren nur zwei Leute gefolgt, und wie zu erwarten war, handelte es sich bei diesen beiden um höchst besorgniserregende Subjekte.
Der Mann war ihm schon in der Kneipe aufgefallen. Er paßte einfach nicht zu den Bauern, die dort üblicherweise verkehrten. Er war groß, muskulös und mit einem gefährlich aussehenden Schwert bewaffnet. Seine linke Gesichtshälfte war von wüsten Narben verunstaltet, und seine linke Augenhöhle lag unter einer abgewetzten braunen Augenklappe verborgen. Eindeutig ein Kriegsveteran, der Vater des jungen Grafen wäre begeistert gewesen! Die Statur des Mannes erinnerte Harold grob an ein schweres Weinfaß mit Armen un Beinen. Und wenn man dem Geruch glauben schenken konnte, der von dem Mann ausging, wurde der Vergleich mit einem Weinfaß immer passender.
Die Frau war jünger als der Mann, aber nicht sehr - Harold schätzte sie auf Mitte Dreißig. Sie war zierlich, gute zwei Köpfe kleiner als der Mann und in die bunten Kleider des Fahrenden Volkes gekleidet. Mit ihrem langen nußbraunen Haar, das sie zu vielen kleinen Zöpfchen verflochten hatte und ihrem elegant geschnittenen Gesichtszügen stellte sie durchaus einen aufreizenden Anblick dar. Allerdings war sich Harold nicht so sicher, ob ihm dies gefallen oder eher noch mißtrauischer machen sollte.
Die beiden waren zusammen auf dem Schloss erschienen, obwohl sie nicht wirklich zusammenzugehören schienen. Oder wie sonst sollte er die giftigen Blicke deuten, die sie sich zuwarfen? Doch all diese Überlegungen waren ohnehin ohne Nutzen, denn der junge Graf würde die beiden sicherlich ohne Umschweife vor die Tür setzen, sobald er ihrer ansichtig wurde. Andererseits - die Grafen derer von Freund hatten sich noch nie durch eine gute Urteilskraft ausgezeichnet.
Und genauso sollte es auch kommen, als er die Fremden in die Bibliothek führte, wo der Graf über einigen Büchern brütete. Der Graf blickte nur kurz auf, erfragte die Namen der Neuankömmlinge - der Mann hieß Gundar Seiler, die Frau hörte auf den exotischen Namen Carmen Selaro - und ließ sie dann von Harold auf ihre Zimmer führen. Ihre unverschämt grinsenden Gesichter zeigten nur zu deutlich, daß sie ganz genau wußten, was der mürrische alte Diener von der ganzen Angelegenheit hielt. Das konnte ja heiter werden!
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Sie hatten sich alle in der unterirdischen Halle versammelt. Igor hockte still auf der Treppe, die zum steinernen Ring hinaufführte, Gundar hatte es sich in einer Ecke gemütlich gemacht und Carmen saß auf dem einzigen Stuhl, den der Raum anzubieten hatte. Am Eingang stand Harold mit unbewegter Miene - die Zornesröte wich langsam aus seinem Gesicht. Ihn hatte die Wut gepackt, als er die Gäste nicht auf ihren Gästezimmern vorgefunden hatte, sondern im ganzen Schloss nach ihnen suchen mußte. Carmen hatte er schließlich im Speisezimmer gefunden, wo sie das Silberbesteck inspizierte, während sich Gundar in den Weinkeller gestohlen hatte, um sich einen Schluck aus dem kostbaren Bestand derer von Freund zu gönnen. Dieses respektlose Verhalten sprach für Harold eine deutlichere Sprache als es ihre äußere Erscheinung ohnehin schon tat.
Der Graf ging aufgeregt im Raum auf und ab und schien sich nicht an den jüngsten Ereignissen zu stören: "Wie ich hörte, habt ihr euch bereits mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut gemacht - schön schön. Ich muß euch jedoch mitteilen, daß wir nicht hier verweilen, sondern bald zu einer Reise aufbrechen werden, die uns sehr weit von hier fortführen wird. Ihr seht diesen steinernen Ring?" Er deutete auf den Ring, der unmöglich zu übersehen war.
"Klar und deutlich," erwiderte der düster dreinblickende Söldner trocken.
"Diesen Ring werden wir durchschreiten, um uns dem zu stellen, was auch immer auf der anderen Seite auf uns wartet."
Die Frau warf dem steinernen Gebilde einen zweifelnden Blick zu. Es wirkte interessant und geheimnisvoll mit den vielen seltsamen Symbolen, die entlang seiner Seite eingraviert waren. Aber darüber hinaus war es nur ein toter, kalter Gegenstand. "Was ist so besonderes daran, durch diesen Ring zu gehen? Oder ist das irgendeine Form von - schwarzer Magie?" Sie hatte die Stimme geheimnisvoll gesenkt, doch es war klar, daß sie die Frage nicht ernst meinte.
"Nein, nein," erwiderte der Graf ungeduldig, "das ist alles streng wissenschaflich! Mein Urgroßvater hat diesen Ring vor über achtzig Jahren in einer uralten Ruine in Zowizio gefunden und hierher bringen lassen." Er hielt kurz inne, als er sich vorstellte, was für ein Unternehmen das gewesen sein mußte, das mehrere Tonnen wiegende Artefakt die ganzen 1200 Meilen hierher zu schaffen - aber die Sammelleidenschaft seines Urgroßvaters kannte nun einmal keine Grenzen. "Nach einem ausführlichen Studium uralter Schriften wurde mir klar, daß man mit Hilfe des Rings zu anderen Welten reisen kann. Wir werden ihn mit der Kraft eines Blitzes füllen, und dann wird sich in seinem Innern ein Tor öffnen. Ich habe das Tor im Laufe der letzten Woche zweimal geöffnet und beide Male eine Nachricht hindurchgeschickt, ohne eine Antwort zu erhalten. Also werden wir diesmal höchstpersönlich zu dieser anderen Welt reisen, uns dort ein wenig umsehen und dann wieder zurückkehren. Jeder der mich begleitet, erhält zur Belohnung einhundert Taler, und vielleicht gibt es sogar noch einen kleinen Bonus. Noch Fragen?"
Gundar, dem eigentlich alles egal war, fragte nur aus Routine: "Werden wir dort auf feindlich gesinnte Kräfte stoßen?"
"Ich habe wirklich keine Ahnung. Ich hoffe aber, daß dem nicht so sein wird. Für den Fall, daß es zu einer Auseinandersetzung kommt, habt Ihr ja Euer Schwert. Ich denke Ihr könnt damit umgehen?"
Der Söldner nickte nur.
"Ein Schwert allein wird uns nicht schützen." sagte Carmen entschieden. Sie glaubte nicht an diesen Unsinn von einer Reise in eine andere Welt, aber wenn sich dieser exzentrische Graf schon seinen Phantasien hingab, würde sie auf jeden Fall mitspielen - vielleicht war dann für sie ja noch mehr drin als die drei silbernen Gabeln, die sie sich bereits gesichert hatte.
"Sie hat recht," warf Harold ein. Die ehrliche Besorgnis in der Stimme des alten Dieners beunruhigte Carmen. Sie hatte ihn eigentlich für eine Person gehalten, die mit beiden Beinen fest in der Realität stand. Und jetzt dieser Einwand? Ein unangenehmes, taubes Gefühl begann sich in ihrer Magengegend auszubreiten.
"Ja, wahrscheinlich. In Ordnung, Igor, lauf los und hol mir das Schwert meines Vaters und die Schatulle mit den Duellpistolen. Und vielleicht noch einen von den Dolchen," fügte er mit einem Seitenblick auf Carmen hinzu, "schließlich sollt Ihr nicht ganz schutzlos sein."
Kurz loderten die Widerworte in ihr auf, aber dann besann sich die Diebin auf ihre Rolle und warf dem jungen Grafen ein betörendes Lächeln zu. "Aber nein, in so guter Gesellschaft wird mir sicher nichts zustoßen!" flötete sie.
"Ich weiß nicht ob es klug ist, sie überhaupt mitzunehmen," warf Gundar ein, "ich meine, sie ist eine Frau."
Das war nun doch zuviel des Guten. "Was wollt Ihr damit sagen?" wandte sie sich erbost an den grimmigen Söldner. "Daß ich weniger wert bin als ein trunksüchtiger alter Mann?"
Gundar erhob sich ebenfalls und wollte gerade zu einer scharfen Erwiderung ansetzen, als der Graf dazwischenging: "Nonsens! Ich brauche euch beide. Also hört auf, euch anzufeinden!"
Und dann kam Igor mit den Waffen zurück und unterbrach damit die Auseinandersetzung. Carmen und Gundar warfen sich nur noch einen giftigen Blick zu und beließen es vorerst dabei. Der Graf nahm das Schwert aus Igors Händen entgegen. Die Waffe weckte unangenehme Erinnerungen in ihm. An seinen Vater und dessen Tod in einem unsinnigen Krieg, der nur wenige Tage gedauert und nichts als Leid gebracht hatte. Sein Vater wollte immer einen Krieger aus ihm machen, aber er hatte sich beharrlich geweigert. Dennoch hatte er natürlich eine umfangreiche soldatische Ausbildung über sich ergehen lassen müssen, die ihm nun vielleicht von Nutzen sein würde. Entschlossen schüttelte er die Erinnerung ab. Er würde gewappnet sein, aber er würde keinen Kampf provozieren, das schwor er sich in diesem kurzen Augenblick.
Dann griff er zu der Schatulle und holte eine der fein gearbeiteten Duellpistolen heraus. "Bedient Euch!" wies er den Söldner an.
"Duellieren wir uns jetzt?" fragte dieser prompt, aber in seinen Worten lag kein Humor. Er griff sich die andere Pistole und steckte sie sich in den Gürtel. Ihre kostbare Konstruktionsweise wollte überhaupt nicht zu seinem abgewetzten Erscheinungsbild passen.
Harold schüttelte nur den Kopf. Er war nicht in der Position, seinen Herrn von einer Dummheit abzuhalten, das wußte er. Dennoch kam ihm das ganze nicht geheuerlich vor, und bei all der Klugheit seines Herrn bezweifelte er doch, daß sich dieser den Risiken wirklich bewußt war.
Ein Donnern und ein helles, blendendes Leuchten unterbrach seine Gedanken . Dann war wieder Ruhe.
"War das der Ring?" fragte Carmen mit belegter Stimme.
"Nein, nein, das war nur der Blitz!" Der Graf war schon auf den Beinen und hielt auf den Steinring zu, von dem jetzt ein schwaches Glühen ausging. "Schnell, faßt mit an!"
Gemeinsam halfen sie dem Grafen bei seinen Bemühungen, wobei sich Carmen und Gundar ständig fragten, was hier eigentlich vor sich ging. Kurz bevor die siebte Klammer einrastete, rief der Graf ein lautes "In Deckung!" Seine Worte duldeten keinen Widerspruch und alle warfen sich zu Boden.
Die Energie brach über sie hinweg wie eine Flutwelle, dann erstrahlte der Ring in seinem geheimnisvollen Glanz.
"Bei Selket!" entfuhr es Gundar. Er hockte auf allen vieren und warf der leuchtenden Oberfläche einen ungläubigen Blick zu. Sein Herz wummerte in ungeahnter Geschwindigkeit und der Adrenalinausstoß raubte ihm fast den Atem. So lebendig hatte er sich schon seit Jahren nicht mehr gefühlt. Gleichzeitig wurde er sich seiner eigenen Sterblichkeit bewußt und verfluchte sich innerlich, daß er so bereitwillig auf den Plan dieses wahnsinnigen Grafen eingegangen war.
Einen Moment lang überlegte er, sich einfach umzudrehen und fortzugehen. Doch wo sollte er schon hingehen? Er war ein trunksüchtiger Nichtsnutz, der keinen einzigen Heller mehr in der Tasche hatte. Wenn er jetzt kniff, war es aus für ihn, dann würde ihn die Grimme Dame endgütig in ihre tödliche Umarmung zwingen. Erneut stieß er einen Fluch aus und näherte sich mit bedächtigem Schritt dem Unausweichlichen.
Ein Seitenblick auf die Frau zeigt ihm, daß sie ganz ähnlichen Überlegungen nachging. Vor ihr würde er sich keine Schwäche erlauben. "Nun Graf, nach euch!" sagte er jovial.
"Einen Moment!" erwiderte der Angesprochene und holte aus einer anderen Ecke des Raums zwei große Rucksäcke hervor. Einen davon zog er sich selbst an, den anderen reichte er Gundar. Dann rief er Igor zu sich und redete leise mit ihm.
"Du weißt, daß du das nicht tun mußt, Igor."
"Und Euch allein ins Abenteuer ziehen lassen? Niemals, Meister!"
Der Graf nickte zufrieden und wechselte einen kurzen Blick mit Harold, der immer noch am Eingang stand und mißmutig die Stirn runzelte. "Ihr haltet hier die Stellung, bis ich zurück bin!"
"Ja. Seid bitte vorsichtig, Herr Graf!" erwiderte der alte Diener mit ungewohnt sanfter Stimme.
"Versprochen!" Mit diesen Worten ergriff der Graf die Hand seines Lehrlings, und sie traten entschlossen auf das Leuchten zu - und waren verschwunden.
Carmen stand immer noch wie erstarrt. Gundar wollte beruhigend seinen Arm um ihre Schulter legen, aber sie schüttelte ihn ab: "Du glaubst, ich wäre schwach und feige. Aber ich bin aus einem anderen Holz geschnitzt. Und das werde ich dir gleich beweisen!" Und damit löste sie sich von ihm und warf sich durch den Ring aus Stein.
Gundar runzelte nur die Stirn: "Das war es eigentlich nicht, was ich sagen wollte ..." Resigniert zuckte er die Achseln und näherte sich betont gelassen dem bläulichen Schimmern. Erst schob er seinen linken Arm in das Leuchten, dann den rechten, und schließlich tat er einen Schritt nach vorn, und machte gleich darauf die unglaublichste Erfahrung seines ganzen Lebens.